Warum wir Lastenräder sinnvoll finden
Wir sind Idealist*innen und tun das, was wir tun, mit einem politischen Anspruch. Wir wünschen uns eine andere Welt und ein anderes Leben – ohne Kapitalismus und (weitgehend) ohne Autos. Und dann sind wir trotzdem auch pragmatisch – Verkehrswende ist eben (auch) Handarbeit. Darum betreiben wir eine Fahrradwerkstatt – um vorhandene Fahrräder und Lastenräder so lang wie möglich zu erhalten. Bei dem aktuell doch eher winzigen Bestand an Lastenrädern in und um Marburg reicht das aber nicht aus: Es braucht tatsächlich mehr davon. Mit all unserer angesammelten Erfahrung zum Thema können wir euch umfangreich beraten, können euch Probefahrten ermöglichen und euch ermutigen, mit euren Nachbarn oder Freund*innen zusammen ein Lastenrad zu teilen. Wir helfen euch dabei, zu überlegen, welches Lastenrad das richtige für euch ist, um die Anschaffung eines Autos zu verhindern oder ein vorhandenes zu ersetzen.
Kann schon sein, dass es einzelne Anwendungsfälle gibt, wo selbst Lastenräder an ihre Grenzen kommen. Aber in unglaublich vielen Fällen können wir damit alles bewegen und so mobil sein, wie wir es brauchen. In der Stadt – aber auch auf dem Land.
Ob ihr eure Kinder transportieren wollt, Einkäufe oder das Zubehör zum Wochenendausflug, den Möbeltransport beim Umzug oder das Material und die Werkzeuge für eure Baustelle – in den allermeisten Fällen gibt es ein dazu passendes Lastenrad. Selbst der Transport erwachsener Personen ist grundsätzlich kein Problem. Gegen Regen gibt es Dächer und um die Berge zu erklimmen Elektrounterstützung.
Wir könnten das Verkaufs-Geschäft auch den anderen überlassen. Wir haben schließlich einen gut funktionierenden Werkstattbetrieb. Das Reparieren und Erhalten ist uns sowieso am allerwichtigsten. Aber gerade aus der Perspektive haben wir gemerkt, können wir euch besonders gut beraten. Unsere Beratung zielt auf ein Puzzlestück zur Verkehrswende, zur nachhaltigen, langlebigen und bedarfsgerechten Nutzung geeigneter Fahrzeuge. Natürlich macht Lastenradfahren auch richtig Spaß – finden wir.
Übrigens sind Lastenräder viel billiger als Autos, viel platzsparender als Autos, viel leiser als Autos, viel ungefährlicher als Autos und viel flexibler in ihrer Nutzung. Okay, auf längeren Strecken sind sie langsamer. Und nein, sie sind nicht beheizt. Irgendwas ist halt immer…
Brauche ich wirklich ein neues Fahrrad?
Wir verkaufen (neue) Lastenräder. Wir glauben ja auch, dass es davon insgesamt viel zu wenige gibt. Aber brauchst du oder braucht ihr wirklich ein neues (Elektro-)Fahrzeug? Wir finden: Diese Frage sollte ganz am Anfang stehen.
Wird das Lastenrad ein Auto ersetzen? Transportiert ihr tatsächlich regelmäßig so viel, dass ein „normales“ Fahrrad nicht mehr reicht? Braucht ihr die Motorunterstützung, oder sind eure Strecken meistens eben? Gibt es die Möglichkeit, vorhandene Lastenräder zu teilen oder zum Beispiel bei gelegentlichem Bedarf eines über Freie Lasten auszuleihen?
Ja, klar, kein anderes Verkehrsmittel ist so effizient, was Geschwindigkeit,
benötigtes Material und Energieverbrauch angeht, wie das Fahrrad (einschließlich Lastenrad). Trotzdem können und wollen wir nicht uneingeschränkt zum Neuradkauf raten. Wenn sie nicht sinnvoll eingesetzt werden, werden Fahrräder wie
jedes andere Konsumgut schnell zu bloßen Luxusartikeln. Sie können als Statussymbole dienen und dabei
auch eine schlechte Umweltbilanz aufweisen. Fahrräder werden selten fair produziert und selbst wenn,
stellt sich die Frage, was das im Kapitalismus überhaupt heißt. Auch „faire“ Unternehmen machen Profit
und beuten ihre Arbeiter*innen aus. Von daher sollte die Anschaffung eines neuen Fahrrads gut überlegt
sein. Andererseits ist es nicht dein Fahrrad, sondern Marktmechanismen und herrschaftsförmige
Strukturen, die für diese systembedingten Probleme verantwortlich sind.
Hier eine kleine (unvollständige) Liste mit Risiken und Nebenwirkungen beim Neuradkauf. Denn jedes neue Fahrrad verursacht klimaschädliche Emissionen:
• bei der Verarbeitung von Rohstoffen,
• bei der Herstellung von Stahl, Aluminium oder Kunststoffen (wie z.B. Carbon),
• bei der Produktion der Einzelteile und der Montage des Rades,
• auf den Transportwegen
Viele verbaute Materialien bringen soziale und ökologische Folgen mit sich:
• die Produktion von Aluminium erzeugt mit Schwermetallen verunreinigten Rotschlamm
• Carbon (Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff), Aluminium und verschiedene Kunststoffe sind in
der Praxis nur schwer oder gar nicht recyclebar
• Räder werden profitorientiert hergestellt, was immer eine Ausbeutung von Menschen und Umwelt
bedeutet
• Durch die Rohstoffförderung im Globalen Süden und die anschließende Veredelung im Globalen
Norden werden neokoloniale Strukturen gestärkt
Elektromotoren am (Lasten)fahrrad können dessen Einsatzbereiche erheblich erweitern und damit den entscheidenden Unterschied machen, warum das (Lasten)fahrrad und eben nicht das Auto benutzt wird. Gleichzeitig sind die ökologischen und sozialen Folgen der Produktion und Nutzung hier vergleichsweise höher:
• Rohstoffe für Akkus, Motoren und elektrische Komponenten werden unter menschenunwürdigen
Bedingungen gefördert und bei Abbau und Verarbeitung wird viel CO2 ausgestoßen (ein Beispiel
dafür ist der Kobalt-Abbau in der DR Kongo, inklusive Einsatz von Kinderarbeit, oder die
Förderung von Neodym für die Motoren in Uiguren-Gebieten Chinas)
• Akkus sind Verschleißteile und landen in der Regel nach 5-6 Jahren auf dem Sondermüll und zwar
unabhängig von der Kilometerleistung – sie werden auch vom Rumliegen „schlecht“
• Viele E-Bikes sehen keine langfristige Reparierbarkeit vor: bei Mittelmotoren lässt sich z.B. das
Tretlager nicht tauschen, weshalb oft nach ca. 20.000 km ein komplett neuer Motor eingebaut
werden muss
• Die Standards verschiedener Hersteller sind untereinander nicht kompatibel, deshalb ist eine
Umrüstung auf einen anderen Antrieb oder auf ein unmotorisiertes Fahrrad oft nicht möglich.
Diese Unflexibilität führt zu einem größeren Wegwerftrend.
• Da der Strommix in Deutschland zu weniger als der Hälfte aus Erneuerbaren Energien erzeugt
wird, werden auch im weiteren Betrieb durch das Laden des Akkus Emissionen ausgestoßen
• Werden Emissionen für das Aufladen und für die Produktion des Akkus zusammen betrachtet,
lässt sich berechnen wieviel CO2 pro gefahrenem Kilometer allein durch den E-Antrieb anfällt
• Beispiel 1: Mit einem 500Wh-Akku wird eine Reichweite von 60 km pro Ladezyklus erreicht. Nach
gut ausgeschöpften 500 Ladezyklen ist der Akku kaputt und es wurden 30.000 km gefahren. Der
Ausstoß liegt in diesem Beispiel bei 7-8 g CO2 pro Kilometer
• Beispiel 2: Geht der gleiche Akku nach 5-6 Jahren durch Alterungsprozesse kaputt und wurde in
dieser Zeit jedoch nur 1000 km gefahren, dann sind es 80 – 105 g CO2e pro Kilometer, also mehr als
das Zehnfache und damit nicht mehr weit entfernt vom Ausstoß eines sparsamen Benziners
Natürlich erwarten wir nicht von dir, Antworten auf all die Fragen zu haben. Letztlich weißt du am besten, warum du dich, gegebenenfalls, für ein neues (E-)Lastenrad interessierst. Und natürlich setzen wir da an – auf Augenhöhe und mit dir zusammen!